Tuesday, August 14, 2007

Sahafismus

Ein Wort, das (leider) nicht in den Sprachgebrauch eingegangen ist.

Er ist so gut wie vergessen. Muhammad al-Sahhaf, auch Sahaf oder Mohammed al-Sahaf, war einer der Medienstars im April 2003. Seine Presseerklärungen waren der unfassbare (bizarre) Höhepunkt aller Berichte über die Irak Invasion. Als irakischer Informationsminister hatte er wohl die Aufgabe, die tatsächliche militärische Lage (aus irakischer Sicht) zu beschönigen. Sahaf aber machte daraus quasi ein Gesamtkunstwerk, zumindest wenn man es aus Entertainment-Perspektive betrachtet.

Dazu gehörten seine konstant-störrischen, immer mit einem milden Lächeln orchestrierten Dementis von Meldungen von amerikanischen Erfolgen. Sein langsamer, von Denkpausen unterbrochener Sprachstil, immer kulminierend in quasi wie Paukenschlägen eingestreuten Abfälligkeiten ('Feiglinge', 'gejagte Ratten', 'verendende Schlangen') über die Amerikaner. Sowie seine ausgedachten, den Invasionstruppen zugedachten Grausamkeiten ('Gott grillt ihre Mägen in der Hölle') und drastischen Prophezeiungen ("Sie werden massenhaft Selbstmord begehen'), die aber eher surreal-drollig aufgenommen wurden, angesichts seiner eher jovialen Art und offensichtlich inszenierten Sturheit, ganz zum Trotz der tatsächlichen Lage. Der Mann redete blühenden Unsinn. Und man konnte sich an ihm nicht satt sehen. Großes, multi-dimensionales Entertainment.


Lässt man die direkt sinnfällige Operettenhaftigkeit, sein äußerliches Auftreten weg, dann hatte Sahaf immer noch jede Menge Potential für ein Paradigma: Was kümmert mich die Wirklichkeit?!! Ich erzähle sie euch so, wie sie durch den Tunnel UNSERER INTERESSEN passt. Zugegeben, in gewisser Weise machte er das Gleiche wie Tausende vor ihm: Propaganda, gezielte Desinformation. Sahafs Größe resultiert aus der neuen Qualität seiner Auftritte: er vereinigte Sturheit, Jovialität und unglaubliche Entspanntheit bei der Leugnung offensichtlicher Tatsachen. Inhaltliche Operettenhaftigkeit gepaart mit staatsmännischer Haltung.

Sahaf in der Tat erfand den Sahafismus.

Google Deutschland findet 3 Treffer für Sahafismus, darunter dieser Artikel, welcher mich zu meinem Eintrag inspirierte. Der Autor beschreibt Sahafismus als ein überall anzutreffendes Muster, das darin besteht, munter und unverdrossen Realitäten zu leugnen und zu ignorieren. "In den Führungsriegen abstürzender Börsenlieblinge sahen wir sahafsche Typen."

Google.com ist ergiebiger. "Sahafism" führt zu 118 Treffern, "al-Sahafism" zu 93. Und "al-Sahafian" immerhin noch zu 6 Einträgen. Auch dort wird Sahafismus vereinzelt als ein Muster diskutiert, das vom Ex-Informationsminister Iraks abstrahiert werden kann. Etwa wenn Michael Jackson behauptete, er hätte nur eine Schönheitsoperation gehabt.

Ich denke, Sahafismus sollte in den Sprachgebrauch eingehen. Es passt zu häufig. Und zu eindrucksvoll. Etwa wenn Steve Ballmer über das iPhone lacht. Oder wie Heinrich von Pierer über Siemens Telefonsparte zu schwärmen pflegte. Etc. Usw.

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1 comment:

Anonymous said...

Ich bin der Autor des von Dir genannten Artikels auf Rotes Winterhude. Dir ist beizupflichten: Sahafismus gehört in den Duden. Dein Blog ist frech, direkt, unterhaltsam, einfach gut zu lesen. Werd mir ab und zu Deine Bemerkungen einmal reintun. Gruß, Marco