Thursday, August 11, 2005

Die Mauer. Reloaded

Frustrierter Stoiber. Und die Frustrierten.

Gerhard Schroeder hätte ihn als Einwechselspieler für das 2. TV-Duell genommen. Edmund Stoiber muss dies krass gewurmt haben. Der Kurzurlaub am Bodensee besserte seine Laune nur vorübergehend. Immerhin sprangen dort ein paar Promo-Photos für den Stern heraus, routiniert kernig und entspannt, dabei ungewohntes eigentlich-netter-Kerl Flair zeigend. Nicht auszuschließen, dass das Ehepaar Stoiber vorher in Otto Versand Katalogen geblättert hat.

In Eglofs (Baden-Württemberg) war dann aber Schluss mit nett. Auf einer Wahlveranstaltung polterte der 2002 unterlegene Kanzlerkandidat: "Ich akzeptiere nicht, dass erneut der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird. Es darf nicht sein, dass die Frustrierten über das Schicksal Deutschlands bestimmen".

Schon erstaunlich. Erst sorgte der Ex-Militär und brandenburgische Innenminister Schönbohm für massive Antistimmung (nicht nur) im Osten. Und viele vermuteten eine naive und unbedachte Eskapade eines Stahlhelms. Aber jetzt wurde diese Leistung von Stoiber sogar noch getoppt: Die Gallionsfigur der Union als Elefant im verbalen Porzellanladen!

Natürlich schlagen die (medialen) Wellem erneut hoch. Und, nach einigen Tagen (und vermutlich gutem Zureden) bemüht sich der 1. Mann Bayerns um Schadensbegrenzung: Mit den "Frustrierten" meine er nicht die ostdeutschen Wähler, sondern "die Alt-Frustrierten Lafontaine und Gysi", also nicht 'die Frustrierten im Osten'. Sieht man die parallele syntaktische Konstruktion in Stoibers Originalzitat, so ist das schwer nachzuvollziehen. Im günstigsten Fall rutschte ihm eine grotesk unglückliche Formulierung raus.

Und Stoiber ist damit als der Mann mit der Mauer im Kopf in der öffentlichen Diskussion. Als der Tribun, durch dessen Hinterkopf düsterste Gedanken über die Ostdeutschen geistern, "dass er ihnen am liebsten faktisch das Wahlrecht entziehen will", so Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck. Aber auch die Kritik von der FDP und ostdeutschen Unionspolitikern fällt nur unwesentlich verhaltener aus.

Unterdessen spekulieren Parteienforscher über mögliche Auswirkungen auf das Wählerverhalten. Unumstritten ist: Der Verlust von 5 Prozentpunkten im Osten schlägt mit einem Prozent bundesweit durch. Weniger einig sind sich die Experten darin, wie sich mögliche Stimmenverluste im Osten durch Sympathie- und Stimmengewinne im Westen gegenrechnen lassen.

Die Kette von negativen Schlagzeilen, wie sie Union in den letzten Wochen hingelegt hat, dürfte unterdessen ziemlich einzigartig sein. Eigentlich ein schwer begreifbarer Vorgang... in Zeiten, in denen weit weniger bedeutende Größen Medienberater etc anheuern. Die Union scheint in dieser Hinsicht noch ziemlich unverbogen zu sein.

Tuesday, August 09, 2005

Hertha BSC: Saison gelaufen



Nur 2:2 am 1. Spieltag in Hannover

Vom Rest der Republik fast unbemerkt, waren die Berliner Öffentlichkeit und Hertha mit großer Zuversicht in die neue Saison gestartet. Die Champions-League sollte dieses Mal mindestens herausspringen. Als erster Schritt, auf dem Weg zu höheren Zielen. Auf "eine Augenhöhe mit dem FC Bayern" wolle man kommen, hieß es aus dem Umfeld des Clubs. Und irgendwann wird Hertha erneut einen Antrag auf Aufnahme in die G14 stellen, die Interessengemeinschaft der 14 'wichtigsten' Vereine Europas. Der letzte Antrag war sang- und klanglos gescheitert.

Doch jetzt steht Hauen und Stechen auf dem Programm. So titelte die "BZ": "Hertha-Frust. 15 kritische Fragen an Hoeness und Götz". Und bohrt... Das Frustwort heißt 'Transferpolitik'. Insbesondere sind Verstärkungen für den Angriff ausgeblieben. Dieser steht und fällt weiterhin mit Rafael und Wichniarek, Namen, die international wenig Schrecken verbreiten. Von Stars der G14 Haute Volée wie Cristiano Ronaldo oder Robinho ist man so weit entfernt wie Malta von einer eigenen Atombombe.

Und was die Hauptstädter noch mehr frustriert: Bundesligaklubs wie Schalke und Bremen sind, was die Besetzung ihres Kaders betrifft, deutlich davon gezogen. Experten sehen außerdem den Hamburger SV inzwischen auf einer Augenhöhe mit Hertha.

Und weil Frust der übliche Reflex auf ein geplatztes 'reality distortion field' ist - etwa in der Art 'Berlin = größte Stadt = Hauptstadt = Hertha = Top-Verein' - dringt das tatsächliche Potential des Vereins zu den meisten Hauptstädtern nicht durch. Insbesondere die finanziellen Möglichkeiten dürften limitierter sein, als vielen bewusst ist. Auf dem Einkaufszettel stehen in der Tat Nachwuchsspieler und ablösefreie Kräfte.

Thursday, August 04, 2005

Einfache Verhältnisse

Schönbohm und die 9 toten Säuglinge

Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hatte ein Mitteilungsbedürfnis. Richtiges Sendungsbewusstsein gewissermaßen. 9 Säuglinge hat eine 39-jährige Brandenburgerin kurz nach der Geburt "entsorgt". 'Große Sache dies', muss es dem Minister durch den Kopf gespukt sein. Die Boulevard Medien waren auf Höchsttemperatur. Und den greifbaren Sieg seiner Partei bei der Bundestagswahl vor Augen, arbeiteten die Radars im Hinterkopf des guten Mannes fieberhaft. Der Ex-General kann sich Hoffnungen auf den Posten des Verteidigungsministers machen. Vielleicht kam ihm auch die Flutkatastrophe kurz vor der Wahl 2002 in den Sinn, die Gerhard Schroeder offensichtlich sehr half.

In seinem Kopf überschlug sich sein Sendungsbewusstsein in eine General-Abrechnung
"Die ländlich strukturierten Räume Ostdeutschlands sind stärker verproletarisiert"... "Mit der Kollektivierung der Landwirtschaft durch die SED in den 50er Jahren ging der Verlust von Verantwortung für Eigentum einher, für das Schaffen von Werten"... "Ich glaube, dass die von der SED erzwungene Proletarisierung eine der wesentlichen Ursachen ist für Verwahrlosung und Gewaltbereitschaft" (ist).
Und nach dem Tagesspiegel-Interview einmal richtig in Fahrt, legte er im ZDF, trotz bereits herber öffentlicher Kritik, noch einmal nach: "In totalitären Systemen war die Wertevermittlung kleingeschrieben". Der Staat habe die Werte vorgegeben und die Menschen überwacht, die gut damit gefahren seien, am Menschen oder anderen Dingen keinen Anteil zu nehmen.

Es dauerte gewisse Zeit, bis Jörg Schönbohm dämmerte, dass die Strickmuster eines Militärs nicht ohne weiteres für soziologische Analysen taugen. Und dass er mit seinem einfachen Webwerk keinen großen Anklang finden würde, nicht einmal bei seinen Parteifreunden. Cornelia Pieper (FDP) forderte sogar seinen Rücktritt. Schönbohm hat sich inzwischen entschuldigt.

TV-Duell Version lite

1 Duell, 90 Minuten, ARD, ZDF, RTL und SAT1 übertragen

Die 4 Sender wollten das Ereignis unbedingt, der Kanzler maß laut Spiegel "einem Duell mit Merkel keine übermäßige Bedeutung bei" und die Kandidatin ist mit der Lösung bestens bedient. Die von den Anstalten als Kompromissvorschlag präsentierte kleine Lösung wurde schließlich angenommen.

An den beschlossenen Details fällt auf: Es soll diesmal kein strenges Zeitreglement geben. "Alle Beteiligten waren sich einig, dass das Duell möglichst lebendig und spontan verlaufen soll", hieß es laut Spiegel. Lediglich auf gleichgewichtige Redezeiten solle geachtet werden.

Somit wird den Kontrahenten bestens Gelegenheit geboten, sich "für die breite Unterstützung landauf und landab zu bedanken". Oder den "beispiellosen Einsatz der Parteifreunde zu rühmen". Besteht kein Zeitlimit von z. B. 3 Minuten für die Antwort auf eine Sachfrage, kann man sich bestens mit Blabla durchhangeln. Ich begreife die Wurstigkeit der Anstalten in diesem Detail nicht. Anscheinend wollen sie das Duell um jeden Preis. Und weniger interessiert sie, ob die Kontrahenten dabei mit offenem Visier fechten (müssen).

Zu den Terminproblemen von Frau Merkel vermute ich: Angesichts ihrer häufig offenbarten Fahrigkeit gerade in wichtigen Diskussionen und Debatten, etwa vor der Vertrauensfrage, war ihren Beratern bewußt: Frau Merkel muss gründlichst auf diese Duelle vorbereitet werden, mit simulierten Duellen usw. Am besten wären natürlich lange Klausuren, mit Auswertung des aufgezeichneten Materials und einübender Korrektur. Angesichts der Kürze der Zeit bis zum Wahltermin natürlich nicht zu machen. Auch dieser Aspekt wäre somit geklärt...

Wednesday, August 03, 2005

A. Merkel und das 2. TV-Duell

Berater gegen Blamagen

Angela Merkel hat Berater. Zur Zeit sogar ein paar mehr, schließlich stehen Bundestagswahlen vor der Tür. Ihre Berater sollen Frau Merkel auf Kurs halten. Fettnäpfchen und Blamagen sollen verhindert, die positive Grundstimmung zementiert werden, immerhin lag die von Frau Merkel geführte Union in Wählerumfragen vor kurzem noch im Bereich der absoluten Mehrheit.

Jetzt gibt es erbittertes Gerangel um die TV-Duelle Schroeder vs. Merkel. Die SPD sowie ARD, ZDF, RTL und SAT.1 wollen zwei, Merkels Büro will nur einem zustimmen, "aus Termingründen". Und der Ton wird sogleich etwas rauh: „Es bleibt jetzt dem Bundeskanzler überlassen, ob er zu diesem einen Duell bereit ist oder ob es gar keins gibt“, erklärte Hausmann, der frühere CDU-Bundesgeschäftsführer. Dies sei „nicht verhandelbar“.

Schon letzte Woche verzichtete Merkel auf eine Reise nach Washington und schickte ihren Abgesandten Wolfgäng Schäuble zu Sondierungsgesprächen mit George Bush, aus "Termingründen". Schon hier vermuteten Kommentatoren eine Ausrede: Bilder mit dem US-Präsidenten könnten ihrem Image im Wahlkampf schaden.

Unverblümt bezeichnet Schroeder die neuerlichen "Terminschwierigkeiten" Merkels als "vorgeschoben". Der Parteienforscher Jürgen Falter erläutert, das 2. Duell sei vermutlich aus Sicht Merkels das problematischere, im letzten Wahlkampf habe Edmund Stoiber gerade im 2. Duell mit Schroeder schlecht ausgesehen.

Die TV-Anstalten beharren weiterhin auf zwei Duellen, dies sei "internationaler Standard". Und Schroeder legt in gelöster Haifischlaune nach: Wenn Frau Merkel keine Zeit habe, solle sie Edmund Stoiber zum Duell schicken.

Die öffentliche Punktwertung dürfte sehr deutlich Pro-Schroeder ausfallen. Wenn nicht sogar dieser Streit für Angela Merkel zur Peinlichkeit erster Kategorie auswächst. Und mit der von ihren Beratern verordneten strikt-defensiven Strategie, alle blamage-trächtigen Klippen zu meiden, Sachstreitigkeiten aus dem Weg zu gehen und stattdessen allein auf ihr positives Image zu setzen, könnten diese sie schnurstracks in eine Mega-Blamage gehetzt haben, zumindest was den Punkt der TV-Duelle betrifft.