Monday, October 19, 2009

Journalisten treten nach: Wie mittels der Wortwahl Werte-Fremde abgeschossen werden


Immer wieder bemerkenswert, wie rücksichtslos Journalisten austeilen. Ich rede jetzt von Publikationen, die gemeinhin im Ruf stehen, fair und ausgewogen zu berichten. Und deren hinterhältige Wortwahl, wenn jemand aus unserer wohlwollenden Wertegemeinschaft ausgeschlossen, und abgeschossen werden soll.

Eines dieser Worte ist "nachtreten". Es bezeichnet, im Fußball wie in übertragender Bedeutung, ein Revanchefoul. Die eigentliche Aktion im Spiel, der Zweikampf, ist vorüber. Und dann wird, in blindwütender Manier, nocheinmal draufgehalten - nachgetreten. Dem Ansehen nach die niederste und kümmerlichste Form menschlicher Auseinandersetzung. Und im Sport üblicherweise mit hohen Strafen belegt.

Der SPIEGEL schreibt: "Supermodel tritt nach" "Filippa Hamilton - mit 54,5 Kilo zu dick" Hamilton wurde anscheinend von ihrer Modefirma wegen ein paar Kilo zuviel gefeuert. Soweit kein Thema. Später veröffentlichte die Firma ein 'gemorphtes' Photo von ihr, worauf ihre Hüften offenbar unnatürlich dünn erschienen. Darüber beklagte sich Hamilton. Was den Fall an die Öffentlichkeit brachte.

Wohl gemerkt, der Spiegelautor schreibt nicht, dass Hamilton sich "beklagt" hat. Sie hat "nachgetreten". Das ist erstaunlich. Vermutlich ist für den Autor so ein Model per se narzißtisch, nicht ganz auf der Höhe und schnell blindwütig - wenn die Dinge nicht nach ihrem Geschmack laufen. Also musste ER, nach dem eigentlichen Geschehen, nachtreten. Die Dame befand sich außerhalb seines Konsensrahmens.

Die englische Entsprechung von "Nachtreten" übrigens ist "retaliation" oder "revenge foul".

Für den Kicker hat dann noch Diego Maradona nachgetreten. Na gut, der Diego, das ist eh so ein Exot, immer zwischen Genie und Wahnsinn, ein Narzist. Und als Trainer vermutlich ein Scharlatan - glaubt man den handelsüblichen Geschichtenerzählern. Und was hat Maradona gemacht? Auf der Pressekonferenz, nach dem knapp gewonnenen Uruguay-Spiel, sagte er, "sie" (die Presse, einige Funktionäre) könnten ihm "einen blasen". Was in Argentinien nicht nur eine sexuelle Bedeutung hat.

Also musste der Kicker-Autor nachtreten. Schließlich hat der unorthodoxe Maradona seinen Wertekanon mit Füßen getreten. Gut, die FIFA ermittelt jetzt gegen Maradonna. Er war halt etwas prollig. Aber war das ein "Revanchefoul"?

Unsere schreibenden Geschichtenerzähler kennen da keine Gnade: wer nicht nach ihrem Taktstock tanzt, wird mit verstecktem Tritt abserviert, unter der Tischdecke vom Stuhl getreten.

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