Wednesday, June 06, 2007

Statistisches Gebaren

Zahlen zu Milliardenverlusten infolge von Produktpiraterie und Copyrightmissbrauch

Solche Meldungen klingen vertraut. Industriesprecher beklagen 3-stellige Milliardenverluste, weil geschützte Waren kopiert und mit dem Label des Originals versehen verkauft werden. Oder weil illegale Digitalprodukte über Filesharing im Internet umsonst zu bekommen sind.

Produktpiraterie ist auch ein Thema auf dem G8-Gipfel. Wie Heise berichtet, hat die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erste Details ihrer Studie zu den wirtschaftlichen Auswirkungen von Produktpiraterie vorab präsentiert: Für das Jahr 2005 wird der erlittene Schaden weltweit auf rund 200 Milliarden Euro geschätzt. Darin nicht enthalten sind Einbußen durch Filesharing. Würden diese mitberechnet, vermutet die Studie vorsichtig, könnte die Summe mehrere hundert Milliarden Euro höher sein.

Interessant ist nun, dass ein OECD Sprecher gegenüber Heise die Schwächen solcher Statistiken einräumt, inklusive der eigenen. "Wenn wir ehrlich sind" ... "ist die aktuelle Größenordnung nicht wirklich feststellbar." Die Statistiken würden unterschiedlich geführt und die Bewertungsmaßstäbe seien unterschiedlich. So fußt die OECD Studie auf Angaben der Zollbehörden zu konfiszierten Fälschungen. Hierbei sei unklar, ob die Angaben zu deren Wert den Wert der Originalprodukte, den Verkaufswert der Fälschungen oder den von den Transporteuren deklarierten Wert als Maßstab nähmen. Die Zahlen der Industrie lägen überdies weitaus höher und niemand kenne deren Ansatz.

Die hier anklingende Skepsis am bisherigen statistischen Gebaren ist unverkennbar. Möglicherweise dämmerte den Autoren der Studie, dass die bisherige Praxis, immer horrendere Zahlen zu publizieren, kontraproduktiv sein könnte. Dass nämlich beim geneigten Leser mit der Inflation der vermeldeten Schadensummen proportional dessen Skepsis und Nicht-Akzeptanz steigt.

Was hier nicht anklingt, ist das nach wie vor nicht ausgeräumte Dilemma der Pseudo-Objektivität solcher Statistiken. Ein paar Aspekte hierzu nur: Dass geklonte Waren die Produzenten der Originalprodukte 'irgendwie' schädigt, ist unbestritten. Aber: Wenn jemand eine Rolex 'Made in Tailand' für €10 kauft, weiss er, dass er eine Fälschung vor sich hat. Und kauft diese kaum ANSTELLE einer echten Rolex. Bei kopierter Markenbekleidung entsteht vermutlich ein Schaden. Fraglich bleibt immer noch, ob der entgangene Umsatz, sofern keine Klon-Produkte verfügbar wären, tatsächlich IN VOLLEM UMFANG den Originalherstellern zugeflossen wäre. Vermutlich nicht, billig kaufen ist populär. Noch deutlicher wird das Problem hinsichtlich pharmazeutischer Fälschungen, ein großer Markt insbesondere in Afrika. Warum? Originalprodukte sprengen die dortige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Also auch hier ist der Wert der in Umlauf befindlichen oder umgesetzten gefälschten Produkte nur ein vager Indikator für die Einbußen der Originale.

Anders ausgedrückt: Der TATSÄCHLICHE Schaden der legitimen Hersteller bemisst sich allein an AUSGEBLIEBENEN VERKÄUFEN infolge verfügbarer Kopien, nicht aber an der ABSOLUTEN Zahl letzterer im Umlauf. Natürlich ist das keine einfache statistische Aufgabe. Darauf aber zu verzichten bringt eine derart große Unschärfe in die Zahlen, welche entsprechende Statistik wertlos erscheinen ließe.

Bis hierhin war nur von Piraterie an physikalisch existierenden Produkten die Rede. Eine noch brisantere Dimension gewinnt das statistische Problem, wenn es um die massenhafte Vervielfältigung von digitalen Medien (Software, Video, Musik) über das Internet geht. Klar ist, dass die meisten Downloads aus FLACHER Sammelleidenschaft gemacht werden. In einem gewissen Maß wird gesammelt was verfügbar ist, aber alternativ zu und nicht als Ersatz für tatsächliche Käufe. Und es scheint keine gesicherten Zahlen darüber zu geben, in welchem Verhältnis illegale Downloads tatsächlich zu Verkaufseinbußen führen. Die Industrievertreter andererseits rechnen jeden einzelnen Download mit einem entgangenen Verkauf gegen. Und kommen so natürlich zu horrenden Zahlen, schiere Demagogie ! Der halbwegs geneigte Leser fühlt sich von solchen Phantasiezahlen schlichtweg verarscht und kann sich kaum eine noch arrogantere Strategie vorstellen.

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